Serie Frauenmedizin, Teil 2 - Frauenherzen schlagen anders
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Männersache. Dieser Mythos hält sich hartnäckig. Doch die bisher männlich geglaubte Domäne ist eher weiblich. Was den Unterschied ausmacht.
Es gilt als das Symbol für die Liebe, es ist der Motor unseres Lebens: Das Herz. Bis zu sechs Liter pumpt der faustgroße Muskel pro Minute durch unseren Körper. Es schlägt stetig und ohne Pause – jeden Tag etwa 100.000-mal. Über diese großartige Leistung denken wir oft erst nach, wenn das schlagkräftige Organ aus dem Takt gerät. Herz-Kreislaufleiden zählen zu den häufigsten Erkrankungen in westlichen Industrieländern. Diskutiert die Fachwelt in dem Zusammenhang über bekannte Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen und Stress, steht für viele gleich fest: Typisch Mann!
Weit gefehlt. Um ihre Herzgesundheit müssen sich Frauen mindestens genauso sorgen. Schließlich sterben sie häufiger an einem Infarkt oder an Herzschwäche als Männer. Für die Wissenschaft ist das alarmierender Anlass genug, den vermeintlich kleinen Unterschied genauer unter die Lupe zu nehmen: Schlagen Frauenherzen anders? Gendermediziner:innen gehen davon aus. So steht fest, dass das weibliche Herz etwas kleiner und deswegen auch steifer ist. Eine Erklärung dafür, dass sich das Hohlorgan weniger gut dehnen und füllen und einer Herzschwäche Vorschub leisten kann.
Bekannt ist auch, dass Frauen bei einem Herzinfarkt oft über andere Beschwerden klagen als Männer (siehe Kasten). Mit bisweilen bedrohlichen Folgen: Weil sie Beschwerden wie etwa Oberbauchschmerzen als Magen-Darm-Grippe und nicht als Infarkt deuten, „zögern sie länger und rufen nicht sofort einen Notarzt“, erklärt die Kardiologin Prof. Vera Regitz-Zagrosek aus Berlin. So verstreiche wichtige Zeit zu handeln, mahnt die Gründerin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin an der Berliner Charité.
Richtig dosiert
Ein weiteres Manko: Obwohl Männer und Frauen unterschiedlich herzkrank sein können, erhalten sie oft die gleichen Medikamente. Die Leidtragenden sind dann die Frauen, denn sie bekommen in der Regel eine zu hohe Dosis, so dass vermehrt oder verstärkt Nebenwirkungen auftreten können. „Häufig reichen bei Frauen 40 Prozent der Dosis, um den gleichen Effekt zu erzielen“, sagt die Kardiologin Regitz-Zagrosek. Denn die Inhaltsstoffe verarbeitet der weibliche Körper anders als der männliche. Um nur ein Beispiel nennen: Acetylsalicylsäure, kurz ASS, schützt bekanntlich vor einem erneuten Herzinfarkt oder Schlaganfall. Interessant: Bei Männern senkt ASS eher das Infarkt-, bei Frauen das Schlaganfallrisiko.
Auch die Rolle der Hormone müsste bei der Behandlung von Herzerkrankungen stärker berücksichtigt werden, wünscht sich Gendermedizinerin Regitz-Zagrosek. „Bis zu den Wechseljahren sind Frauen durch die weiblichen Hormone vor Gefäßverkalkung gut geschützt“, sagt sie. Danach steigt ihr Risiko für einen Herzinfarkt aber sofort an.
Raus aus der Stressfalle
Auch die Psyche rückt immer stärker in den Fokus der Gendermedizin: „Frauen leiden anders an belastenden Ereignissen und negativen Gefühlszuständen als Männer“, betont Professor Karl-Heinz Ladwig, Psychokardiologe an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Technischen Universität München. So habe Stress in Beruf oder Partnerschaft sowie Einsamkeit bei Frauen als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine noch höhere Bedeutung als bei Männern.
Trotz oder gerade wegen dieser beunruhigenden Nachrichten: Mit einem gesunden Lebensstil lässt sich gut gegensteuern. Ob Rauchverzicht, Stressabbau, viel Bewegung, die traditionelle Mittelmeerküche oder Normalgewicht: Frauen sind gut beraten, wenn sie das ebenso beherzigen wie Männer.
Warnsignale des weiblichen Körpers
Statt unter Brustschmerzen leiden Frauen im Vorfeld eines Herzinfarkts oft unter Atemnot, Oberbauchbeschwerden, Übelkeit und Schweißausbrüchen. Diese Beschwerden werden dann bisweilen als Rücken-, Magen- oder Gallenprobleme fehlgedeutet. Nur bei der Hälfte der Frauen treten beim Herzinfarkt die „klassischen“ Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm auf. Die andere Hälfte äußert andere Symptome, etwa Schmerzen in der rechten Schulter, dem Rücken, dem Oberbauch oder sogar im Unterkiefer.
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